26 April 2005

Derwisch Göring

Eine erweiterte Fassung der folgenden Bemerkungen wurde gedruckt in Ossietzky 16/2005. Eine weitere Version erschien als Leserbrief in der NZZ.

Der Bundestag zögert noch, den Völkermord Völkermord zu nennen. Weniger vorsichtig ist man im Umgang mit der Behauptung, »daß das Schweigen über den Völkermord an den Armeniern Hitler als Argument zur Rechtfertigung seines Vernichtungskrieges im Osten gedient habe« (Meckel, SPD).

Die Quelle, aus der da geschöpft wird, ist sehr trüb. In dem gleichen Text, der dem amerikanischen Journalisten L. P. Lochner zugespielt wurde, wird zuletzt behauptet, daß Göring vor den versammelten Wehrmachtsgenerälen auf dem Tisch getanzt habe.

In anderen Protokollen derselben Ansprache Hitlers ist weder davon noch von den Armeniern die Rede. Die Nürnberger Anklage verzichtete vernünftigerweise auf die Verwendung des Dokuments, dessen Urheber sie nicht feststellen konnte.

Die andere Quelle, auf die in diesem Kontext ersatzweise verwiesen wird, sind die sogenannten Hitler-Breiting-Gespräche. Vgl. dazu Der Spiegel 37/1972, S. 62 ff.: »Frei erfunden«.

In den Medien war diese sehr dubiose Geschichte in den letzten Tagen geradezu allgegenwärtig. Vielleicht sollte man, bevor sie am Ende in einer Bundestagsresolution auftaucht, etwas Quellenkritik üben?