10 Juni 2005

Rechtschreibung und Staatsräson

Vor einer Woche brachte das Neue Deutschland meinen Bericht Buchstaben und Staatsräson, heute folgt die Berliner Zeitung mit dem Artikel Josephine, die Klägerin. Merkwürdigerweise sind beide Titel orthographisch diffizil. Räson würde besser Raison geschrieben, da das -on ja ohnehin nasaliert wird, die französische Herkunft also unvergessen ist. Wo oder ob im Titel von Kafkas Erzählung Josefine(,) die Sängerin(,) oder Das Volk der Mäuse Kommas stehen, scheint strittig zu sein. Ich titelte daher Josephine die Klägerin (in Analogie zu Karl der Kahle), aber der Redakteur setzte das Komma wieder ein.

Das Urteil von 1998, hinter dem sich das Verwaltungsgericht Hannover verschanzt, zählt hoffentlich zu den schwächsten in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts. Es enthält erstaunlich wirre Darlegungen:

Daß und in welchem Umfang der Staat die Befugnis für sich in Anspruch nahm, auch verändernd in den Schreibusus einzugreifen, zeigen im übrigen Reformvorschläge wie die Wiesbadener Empfehlungen von 1958, auch wenn sich diese nicht durchsetzen konnten.

Das exakte Gegenteil ist der Fall: Das Scheitern der Wiesbadener Empfehlungen zeigt, daß die deutsche Gesellschaft schon damals nicht bereit war, eine solche Befugnis des Staates anzuerkennen.

Wann ist das Mindesthaltbarkeitsdatum eines Fehlurteils abgelaufen?