27 März 2007

Postume Sexualkategorisierung

Für den Berliner Lokalteil einer Kreuzberger Tageszeitung ist die Sache klar: Walther Rathenau war »Jude, Liberaler und homosexuell«. Für Dieter Bartetzko auch: Mit »Verbissenheit«, so glaubt er, hätten »ein Walther Rathenau oder ein Harry Graf Kessler ihre — dennoch allgemein bekannte — Homosexualität« verborgen, »weil sie fürchteten, bei Bekanntwerden ihrer Neigung für immer als Politiker und Kulturführer [sic] diskreditiert zu sein«. (F.A.Z., 27. März 2007)

Verbissen und vergeblich also. Vergebens offenbar auch, daß Fritz J. Raddatz seine Rezension der Rathenau-Biographie Wolfgang Brenners mit folgenden Worten beschloß:
Wolfgang Brenner durchzieht das gesamte Buch mit Spitzmäulchen-Andeutungen über Walther Rathenaus Homosexualität. Entweder man weiß es nicht, es gibt keine Belege: Dann halte man den Mund. Oder man weiß es, es gibt Tagebücher, Briefe, Zeugnisse Dritter: Dann gebe man die, bitte sehr, wieder. Der einzige »Hast du mich lieb? Ich habe dich lieb«-Brief eines höchst dubiosen, auch noch widerwärtig antisemitischen Jugendfreundes ist wahrlich ein mickriger Ausweis. Es ist ja keine Schande noch eine ansteckende Krankheit, homosexuell zu sein. Und ein Biograph hat durchaus die Aufgabe, auch das intime Leben seines »Opfers« zu beleuchten [...]. Aber bitte kein gedimmtes Zwielicht, das keine Konturen sichtbar macht.
Und bitte auch keine grellen Scheinwerfer auf vermeintliche Tatsachen. Denn dafür, daß Rathenau schwul war, gibt es eben bis heute keinen Beweis. Dafür, daß er einigen Frauen schwärmerisch zugetan war, hingegen durchaus. Wenn schon eine postume Kategorisierung historischer Persönlichkeiten nach sexueller Veranlagung vorgenommen werden muß, sollten wenigstens die Fakten stimmen.