14 Februar 2008

Einstürzende Grundfesten

Was mir an der Debatte gefällt, die Raoul Schrott durch seinen Artikel über Homer in der Frankfurter Allgemeinen vom 22. Dezember 2007 ausgelöst hat, ist, wie so oft, daß sie überhaupt stattfindet. Sie erinnert an ein Erdbeben, das natürlich lokale Auswirkungen hat, eigentlich aber Verspannungen zwischen tektonischen Platten korrigiert.

Folgt man Christoph Ulf, trifft der geologische Vergleich den Punkt. Ulf stellt in der Frankfurter Allgemeinen vom 30. Januar das klassische Bild Griechenlandes als eines hehren Solitärs und das Bild Griechenlands als einer Kultur neben anderen einander gegenüber — und was Ulf hier sagt trifft mutatis mutandis auch auf viele ändere Fächer zu, auch in den Naturwissenschaften:
Die Hartnäckigkeit, mit der an einem solchen Konzept festgehalten werden kann, belegt, dass die Altertumswissenschaften als ein Teil der Geisteswissenschaften in gewissem Sinn Nachholbedarf haben: Sie müssen sich zu etwas bekennen, was in anderen Wissenschaftsbereichen längst selbstverständlich ist. Komplexe Fragestellungen wie die Herleitung und Interpretation eines Textes von der Dimension der "Ilias" können nicht von einer einzelnen Disziplin beantwortet werden. Damit ist nicht gemeint, dass andere, insbesondere naturwissenschaftliche Disziplinen zur Bestätigung der eigenen, festgelegten Meinung herangezogen werden. Es geht um mehr. Denn eine breite, die Fächergrenzen bewusst überschreitende wissenschaftliche Diskussion, nicht bloß zu Homer und Troia, hat, in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, nicht nur die ideologischen Zusammenhänge sichtbar gemacht, sondern die Grundfesten der ideologischen "Verwertbarkeit" der literarischen Quelle Homer und der Funde in Hissarlik einstürzen lassen.