Entbiographisierung (Wörter I)
Irgendetwas -- eine Epoche, ein Zeitalter, Neueuropa -- endet. Zwar verbinden wir schon das Jahr 1989 mit einer Wende, doch war das wohl nur der Anfang des Endens. Was genau schließlich geendet haben wird, werden wir erst erkennen können, wenn wir uns eine Übersicht über all das verschafft haben werden, was es dann nicht mehr gibt. Sammeln wir also in der Zwischenzeit schon ein wenig.
Biographien verlieren ihren Wert -- oder soll man sagen, daß wir aufhören, welche zu haben? Jutta Allmendinger sieht eine staatliche Agentur, die Bundesagentur für Arbeit, die den meisten Menschen als „Arbeitsamt” geläufig ist, als Betreiberin der „Entbiographisierung”:
Um sich ein Urteil über die Sache -- den Zwang zur biographieneutralen Vermittlung -- zu bilden, wird man sich Gedanken über das Veralten von Kenntnissen, den schnellen Wandel in der Wertschätzung von Fähigkeiten (und damit Biographien) und die Rolle des Staates in all dem machen müssen. Um so riskanter das Haben einer besonderen Biographie -- eines ausgefallenen, nur in Jahrzehnten erreichbaren Profils -- ist, um so schwieriger könnte es werden, weiterhin die Leistungen in Wissenschaft, Kultur und Ingenieurskunst erbringen zu können, deren Europa sich rühmt.
Biographien verlieren ihren Wert -- oder soll man sagen, daß wir aufhören, welche zu haben? Jutta Allmendinger sieht eine staatliche Agentur, die Bundesagentur für Arbeit, die den meisten Menschen als „Arbeitsamt” geläufig ist, als Betreiberin der „Entbiographisierung”:
Das „Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt”, allgemein bekannt als Hartz IV, wird Lebensverläufe, Biographien und Vorstellungen vom guten Leben neu prägen. Der einmal erreichte berufliche Status, meist durch Bildung und Ausbildung und damit weitgehend durch das Elternhaus vorgegeben, hat bei Eintritt von Arbeitslosigkeit nun ein Verfallsdatum von gerade mal zwölf Monaten. [...] Die verschärften Zumutbarkeitskriterien tun das Ihre: Heute ist jede Tätigkeit anzunehmen, ansonsten droht das Nichts. Dieser Wandel ist ein gewaltiges Stück Entbiographisierung, eine Kulturrevolution des deutschen Lebens mit weitreichenden Folgen für die Sozialstrukturanalyse, der Dynamik noch immer wesensfremd ist. (F.A.Z., 24. 8.2005)Im Hintergrund steht, daß die Bundesagentur für Arbeit für jeden Arbeitslosen, den sie nicht innerhalb der -- sagen wir -- Biographieerhaltungsfrist, also den ersten zwölf Monaten, vermittelt wird, eine Strafgebühr an den Bund zahlen muß. Das setzt die Agentur unter Druck, die Arbeitslosen schon innerhalb der Biographieerhaltungsfrist biographiefremd zu vermitteln.
Um sich ein Urteil über die Sache -- den Zwang zur biographieneutralen Vermittlung -- zu bilden, wird man sich Gedanken über das Veralten von Kenntnissen, den schnellen Wandel in der Wertschätzung von Fähigkeiten (und damit Biographien) und die Rolle des Staates in all dem machen müssen. Um so riskanter das Haben einer besonderen Biographie -- eines ausgefallenen, nur in Jahrzehnten erreichbaren Profils -- ist, um so schwieriger könnte es werden, weiterhin die Leistungen in Wissenschaft, Kultur und Ingenieurskunst erbringen zu können, deren Europa sich rühmt.
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