Ein Verfassungspatriot
Von Jürgen Habermas, der einst auszog, für Dolf Sternbergers Konzept des Verfassungspatriotismus zu werben, hört man dieser Tage nicht so viel. Da ist es gut, einen Werner Schulz im Bundestag zu wissen, der sich nicht scheut, einige der sehr offenkundigen parlamentarischen Absurditäten als solche zu benennen. Mit seiner Rede hat er bewiesen, wie unsinnig es wäre, ihn als ehemaligen Bürgerrechtler zu bezeichnen. Aus seiner Fraktion unterstützte ihn allein Antje Vollmer mit Beifall und einem Händedruck. Die Grünen werden beide durch Nachwuchskräfte ersetzen wollen, denen die Fraktionsdisziplin heilig ist.*
Hier der Wortlaut der Rede vom 1. Juli, bereinigt um Beifallsbekundungen der Opposition und störende Zwischenrufe Wolfgang Thierses:
*Als Leserbrief abgedruckt in der Welt vom 4. 7. 2005 und der taz vom 7. 7. 2005.
Hier der Wortlaut der Rede vom 1. Juli, bereinigt um Beifallsbekundungen der Opposition und störende Zwischenrufe Wolfgang Thierses:
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, ich werde mich an dieser Abstimmung nicht beteiligen. Was hier abläuft, ist ein inszeniertes, ein absurdes Geschehen. Die Ereignisse der letzten Woche und die heutige Debatte haben mich trotz staatsmännischer Rede nicht überzeugt. Hier läuft eine fingierte oder, wie die Juristen sagen, eine unechte Vertrauensfrage.
Schon der erste Satz Ihres Antrages, Herr Bundeskanzler, ist unwahr. Sie wollen doch gar nicht, daß man Ihnen das Vertrauen ausspricht. Sie wollen diese Abstimmung verlieren. Sie suchen einen Grund für Neuwahlen und damit das organisierte Mißtrauen. Sie selbst haben verkündet, sich der Stimme zu enthalten. Aber was ist ein Kanzler, der das Selbstvertrauen verloren hat?
Sie sollten übrigens die Argumentation mit Franz Müntefering noch einmal genau abstimmen. Er ist stolz auf den Meinungsstreit in der Fraktion, für Sie ist er ein Anlaß zu Mißtrauen. Im übrigen, Franz Müntefering, Ihre Aufforderung an Angela Merkel, hier das konstruktive Mißtrauensvotum herbeizuführen, und Ihre Aussage, daß wir jederzeit die Kanzlermehrheit haben, ist beeindruckend, nicht nur für das Protokoll.
Ich hätte bei so vielen Dialektikern hier im Parlament nicht geglaubt, daß wir einmal die feinsinnige Dialektik von Bertolt Brecht berühren. Sie wissen, daß er die Regierung aufgefordert hat, ein anderes Volk zu wählen. Wir werden heute etwas ähnliches erleben: Nicht die Mehrheit mißtraut dem Kanzler, sondern der Kanzler mißtraut seiner eigenen Mehrheit.
Bis in die gestrigen Abendstunden hatten wir eine stabile Mehrheit, die in sieben Jahren nicht ein einziges Mal versagt hat, obwohl sie seit dem 22. Mai vom Kanzler und von Franz Müntefering attackiert wird. Sie suchen eine neue Legitimation für Ihre Politik, doch diese Art von Stimmungsdemokratie sieht unser Grundgesetz nicht vor.
Zwar wird allenthalben die Frage gestellt: Was wäre, wenn am nächsten Sonntag Wahl wäre?, aber am nächsten Sonntag ist nicht Wahl. Wir leben in einer Demokratie und nicht in einer Demoskopie. Sie haben den Satz von Einstein an Ihrem Kanzleramt nicht verstanden: Der Staat ist für die Menschen, nicht die Menschen für den Staat.
Sie beugen unsere Verfassung, wenn Sie mit Hinweis auf das Grundgesetz ein Referendum über die EU-Verfassung verwehren und im nächsten Moment durch Selbstauflösung des Bundestages eine Volksabstimmung über die Fortsetzung Ihrer Politik herbeiführen wollen. Sie haben geschworen, das Grundgesetz zu wahren und zu verteidigen.
Ein paar Schritte vom Kanzleramt entfernt steht an der Schweizer Botschaft der Einstein-Satz: Echte Demokratie ist doch kein leerer Wahn. Was jetzt passiert, ist aber die Sinnentleerung des Artikels 68. Daß ausgerechnet die alten 68er, so wie sie hier versammelt sind, über einen Mißbrauch des Artikels 68 ihren Abgang vorbereiten, gehört zu den grotesken Momenten dieses Vorgangs.
Dabei haben Sie gerade bei der Vertrauensfrage im Zusammenhang mit dem Militäreinsatz in Afghanistan gezeigt, wie dieser Artikel moralisch und politisch zu gebrauchen ist. Sie haben eine eigene Mehrheit demonstriert und dafür sogar eine, breite parlamentarische Mehrheit verschmäht. Sie wollten Helmut Kohl nicht nachahmen; heute kopieren Sie ihn, wobei der Vergleich mit der damaligen Lage doch etwas schräg ist.
Mir ist die Demokratie nicht geschenkt worden. Mit einigen anderen mußte ich unter gefährlichen Umständen Demokratie und Freiheit erst erkämpfen. Schon deswegen sind mir die Grundregeln der Demokratie, wie sie in unserem Grundgesetz stehen, ein hoher Wert – gerade in einer Zeit, in der wir über den Werteverfall und die Vertrauenskrise der Politik reden. Glauben Sie denn ernsthaft daran, daß Sie nach dieser verschwiemelten Operation morgen in den Wahlkampf ziehen und über Wahrheiten reden können?
Das ist nicht nur ein Tiefpunkt der demokratischen Kultur, sondern Sie beschädigen auch das Ansehen des Parlamentes und meine und unsere Rechte als Abgeordnete. Oder, um einen aktuellen Buchtitel des Außenministers aufzugreifen: Die Rückkehr der Geschichte sollten wir nicht als ein Stück Volkskammer veranstalten. Auch da wurden die Abgeordneten eingeladen, nicht ihrer Überzeugung, sondern dem Willen von Partei- und Staatsführung zu folgen.
Sie haben mit Ihrem genialen Schachzug alles erreicht, was Sie vermeiden wollten: Die Opposition ist geeint und geschlossen wie nie zuvor, die Formierung einer neuen Linkspartei und die Erosion der SPD wurden beschleunigt. Sie werden nicht als Patriot in die Geschichte eingehen, wie ein wirrer Schönschreiber in der Zeit meint, sondern eher als einer, der letztlich seine Partei zerlegt und sein Land in Schwierigkeiten gebracht hat. Denn auch in der Einschätzung der politischen Situation täuschen Sie sich. Die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht Neuwahlen, sie wollen die Abwahl von Rot-Grün.
Offenbar wollen Sie das auch – die Flucht aus der Verantwortung. Nur, das ist ein würdeloser Abgang, den wir hier erleben. Ich mache mir Sorgen um unser Land, weil ich finde, daß auch die Opposition nicht vorbereitet ist und kein Konzept hat. Wenn das, was wir bisher als Vertrauenskrise der Politik erlebt haben, nur ein Vorgeschmack ist, dann werden wir uns auf stürmische Zeiten einrichten müssen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
*Als Leserbrief abgedruckt in der Welt vom 4. 7. 2005 und der taz vom 7. 7. 2005.
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