24 November 2006

Nichtmissionierend

Thomas Rothschild weist in einer treffenden Kritik an Henryk Broder darauf hin, »daß Broder und mit ihm eine ganze Reihe ehemals linker Juden sich in eine Haltung gegenüber Israel versteift haben, die sich von der dogmatischer Kommunisten vor 1990 gegenüber der Sowjetunion kaum unterscheidet«. Das stimmt, aber die kleinen Unterschiede sind nichtsdestoweniger bemerkenswert. Die Sowjetunion stand, trotz Stalins Rückzug auf den Sozialismus im eigenen Land und auch noch in ihrem Scheitern, für eine Idee und den vorbildhaften Versuch ihrer Realisierung. Israel steht ebenfalls für eine Idee und deren Erfolg, den Zionismus, aber diese weist (ebenso wie das gewöhnlich nichtmissionierende Judentum) nicht über sich selbst hinaus. Israels Staatwerdung ist ein Experiment, das auch im Falle seines Gelingens nicht wiederholt werden will. Deshalb taugt der Israelismus so wenig zur Ersatzideologie enttäuschter Linker, weniger noch als zum Beispiel der »Titoismus« oder der »Sandinismus«: Spielarten des Realsozialismus, die andernorts je eigene Solidarisierungsbewegungen mobilisierten. Das Fernengagement an den Rändern der kommunistischen Internationale galt Staaten, deren Politik mit einiger Phantasie als modellhaft angesehen werden konnte. Israel hingegen ist kein Modellstaat und möchte es auch nicht sein; es steht für sich und genügt sich selbst. Der ihm entgegengebrachte Patriotismus entbehrt, anders als der Begriff Zionismus es suggeriert, der Überhöhung durch eine Weltanschauung.