08 Juni 2007

Fraktur reden


Judith Schalansky, die mit einem Schriftmusterbuch zur Fraktur hervorgetreten ist, erläutert im Freitag vom 1. Juni Gebrauch und Mißbrauch der gebrochenen Schriften:
Die gebrochenen Schriften erfuhren im mittel- und nordeuropäischen Raum bis ins 18. Jahrhundert neben der Antiqua Verbreitung, am längsten im deutschsprachigen Raum. Wer hier publizierte, hatte abzuwägen, in welcher Schrift seine Texte erscheinen sollten. [...] So bemerkte Goethe, »daß der gebildete Teil des Publikums sich durchaus zur lateinischen Schrift hinneigt«, während ihn seine Mutter in einem Brief bat: »Bleibe deutsch, auch in den Buchstaben«. Sie beschwor vor allem den volkstümlichen Charakter der Fraktur und stellte dem Sohn in einem Brief die rhetorische Frage: »Sollen denn nur Leute von Stand aufgeklärt werden?« »Fraktur reden« wurde zu einem geflügeltem Wort und bedeutete unverblümt, deutlich und für jedermann zu sprechen.
Schalansky verweist dann auf die Paradoxie, daß es zwar Hitler war, der die Fraktur abgeschafft hat, sich aber sehr viele für ihre Bezugnahmen auf ihn oder sein Regime — seien sie nostalgisch-glorifizierend oder kritisch-mahnend — der Schriften dieser Gattung bedienen. Wir können das nur bestätigen: der erste Entwurf für den Umschlag von Rechtschreibreform und Nationalsozialismus war in Fraktur gesetzt, obwohl im Buch auch die Geschichte von Hitlers Frakturerlaß erzählt wird.