15 Februar 2006

Niemand will sie

Die Arbeitslosigkeit wird nicht gewollt, zumindest nicht direkt. Nicht nur in dem Sinne, daß die meisten Arbeitslosen lieber Arbeit hätten, sondern auch in dem Sinn, daß man sich ungern mit ihr befaßt.
Verfassungsdogmatisch würde sie [die Arbeitslosigkeit] wegen der Berufsfreiheit die größten Schwierigkeiten bereiten, wenn die Verfassungsjuristen sie nicht einfach als Problem der Sozialversicherung betrachteten.
Das schreibt Gerd Roellecke in einer Rezension des Sammelbandes Neue Theorien des Rechts in der Frankfurter Allgemeinen vom 10. Februar dieses Jahres. Und der Leser staunt: »wegen der Berufsfreiheit« würde die von niemandem gewollte Arbeitslosigkeit »verfassungsdogmatisch« zu den »größten Schwierigkeiten« führen. Man hört, als Nicht-Jurist, in der Tat wenig vom Grundgesetz, wenn es um die harte Realität geht. Das von den Juristen gelesene Grundgesetz scheint eher zuständig für Kopftücher, Kruzifixe und nur gelegentlich entführte Passagierflugzeuge. Aber all dem zum Trotz kann man dort in Artikel 12, Absatz 2 lesen:
Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
Die so bestimmte Berufsfreiheit und die dauerhaft hohe Arbeitslosigkeit müssen unverträglich sein, wenn Roelleckes Wort von den »größten Schwierigkeiten« zutreffen soll. Sie würden zumindest dann unverträglich sein, wenn die Verfassungsjuristen sich mit diesem Konflikt befassen würden. Was sie aber nicht tun, weil sie die Arbeitslosigkeit insgesamt als sozialversicherungsrechtliches Phänomen verbuchen. Und Roellecke gibt dieser habituellen Nichtbefassung auch seinen systemtheoretischen Segen:
Daß Recht autonom ist, bedeutet auch, daß es Religion, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Familie und Erziehung, die für die Gesamtgesellschaft mindestens so wichtig sind, nicht versteht und deshalb nicht ersetzen kann. Recht kann die anderen Systeme auch so wenig steuern wie ein Schiff den Sturm. Es kann sie nur irritieren oder stören. Der beste Beleg ist die Arbeitslosigkeit. Niemand will sie. Verfassungsdogmatisch würde sie wegen der Berufsfreiheit die größten Schwierigkeiten bereiten, wenn die Verfassungsjuristen sie nicht einfach als Problem der Sozialversicherung betrachteten. Aber sie rechtlich auszuschließen würde nur den Zusammenbruch der Wirtschaft vorbereiten.
Roellecke stellt den rechtlichen Ausschluß der Arbeitslosigkeit als einzig mögliche nicht-sozialversicherungrechtliche juristische Maßnahme gegen die Arbeitslosigkeit hin. Das ist ein übler Sophismus. Er muß das allerdings tun, um seine System-Mythologie nicht zu gefährden. Denn sonst würde die hohe Verflechtung der unterschiedlichen Bereiche der Gesellschaft in den Blick und das Autonomie-Dogma ins Wanken geraten. Man käme beispielsweise darauf zu fragen, was es mit dem »Streikrecht« auf sich habe. Beim Streik handelt sich ja, wenn ich's auf Juristisch versuchen darf, um straffreie Nötigung. Und diese außerordentliche Straffreiheit bedeutet fürs Ganze des Rechts einen Systembruch und für die Ökonomie überhöhte Löhne und Gehälter. Deren Überhöhe treibt die Arbeit aus dem Land. Womit nicht die eine, einzige Ursache der Arbeitslosigkeit benannt werden sollte, denn es gibt deren einige, sondern nur der Rede Roelleckes widersprochen wird, die Verfassungsjuristen täten recht daran, zur Arbeitslosigkeit zu schweigen.


P.S. Der Bund der Steuerzahler informiert über die sekündlich wachsende Schuldenlast. Wer gibt sekundengenau Auskunft über die Anzahl der Menschen, die ohne Arbeit sind?