22 April 2006

Search, don't sort

Philosophen sehen sich gerne als Spezialisten fürs Allgemeine. Von dieser Position aus meint man alles kategorial sortieren zu können, was begegnet. Die Verführung zu hierarchischem Denken ist groß. Schade nur, daß die Philosophie sich damit soweit, wie das zutrifft, aufs kulturelle Abstellgleis manövriert: Hierarchien und andere fixe Sortierungen passen nicht mehr in die Zeit.

Bester Beleg dafür sind die Entwicklungen im Softwarebereich, für die ich auf einen bald ein Jahr alten Artikel zurückgreife. John Hiler untersucht unter dem Titel »Google's War on Hierarchies, and the Death of Hierarchical Folders« in Microcentent News diesen kulturellen Wandel auf drei Ebenen, auf denen Google Verbesserungen gegenüber Microsoft entwickelt hat:

Industry

Google Challenger

#1: Yahoo Web Directory Search Engine
#2: Microsoft Outlook Gmail
#3: Microsoft Windows File System Google Desktop Search

Vielleicht am prägnantesten wird das Problem mit den Hierarchien in folgender Passage von Dan Brown über Email-Programme deutlich, die Hiler zitiert:
Every time I need to categorize a message, however, I need to make a decision about where it goes. To paraphrase Steve Krug, »Don't make me make a decision.« Call me lazy (you wouldn't be the first), but I shouldn't have to make a decision every time I get an email. It's a lot of brain power for not a lot of value.
Googles Alternative in den Worten von Hiler:
Instead, Gmail created a new search-based approach to email. Or as they put it, Gmail was based on the idea that users should »Search, don't sort.«

3 Kommentare:

Blogger Reinhard Markner schreibt ...

Diese Gegenüberstellung ist erstaunlich schief! Webkataloge sind durch Suchmaschinen nicht ersetzt worden, aber der Sucheinstieg über Stichwörter erscheint den meisten Internauten bequemer. Gmail ist nicht die Antwort auf Outlook, sondern auf Hotmail und andere Webmail-Angebote. Und schließlich ist Google Desktop nicht die Antwort auf die Windows-Dateiverwaltung schlechthin, sondern auf deren Suchfunktion.

23 April, 2006 14:20  
Blogger Hanno Birken-Bertsch schreibt ...

Leif Frenzel, der mich auf den zitierten Text erst aufmerksam gemacht hatte, antwortet auf Reinhard Markner:

"Nein, das stimmt nicht: Webkataloge sind tatsächlich von Suchmaschinen
abgelöst worden. Das ist historischer Fakt (in dem Artikel gibt es einen ganzen Abschnitt darüber), und ich kenne auch persönlich niemanden, der sich noch die Mühe macht, einen Webkatalog aufzusuchen. Die meisten Directories, die ich kenne (einschließlich vieler philosophischer), sind zum letzten Mal vor Jahren aktualisiert worden. Manche haben mehr als 50% tote Links. Dieser Ansatz lebt davon, daß jemand viel Zeit investiert, um den Katalog zu pflegen; das bezahlt heute keiner mehr, und viele Freiwillige haben inzwischen die Motivation verloren.

Und was die Desktop-Suche betrifft: Googles Strategie ist global, der
Slogan ist 'Organize the world's information'. Die einzelnen beschriebenen Technologien sind Teile, die in ein kohärentes Konzept
gehören. Das Ziel der vielen sogenannten Web-Services ist es, früher oder später den PC, auf den man seine Daten herunterlädt und dann organisiert, abzulösen. Man hat ja alles online :-)

Das ist ein Trend, der nicht nur von Google ausgeht. IBM ist sehr aktiv
dabei, das zu fördern. Und es stimmt ja auch: ich habe meine Links
online (bei del.icio.us), meine Mail online (auf dem IMAP-Server meiner
Firma allerdings, nicht bei GMail), die Software, die ich programmiere,
liegt entweder auf den Servern meiner Firma oder (wenn's Open Source ist), bei Sourceforge.net. Viele kaufen Rechte an Musik, so daß sie sie bei Bedarf herunterladen können, statt Gigabytes von Daten auf der Festplatte zu horten. Manche Firmen haben ihre komplettes CRM online (bei salesforce.com) usf. usf."

25 April, 2006 14:40  
Blogger Reinhard Markner schreibt ...

Ich bleibe bei meiner Auffassung, daß die Gegenüberstellung schief ist. So etwas passiert, wenn jemand übereifrig nach dem Paradigmenwechsel sucht. Die ahierarchische alphabetische Ordnung (von Bibliothekskatalogen oder Enzyklopädien) hat sich gegenüber sachlichen und kategorialen Erschließungen auch durchgesetzt, ohne daß letztere deshalb völlig obsolet geworden wären. Das ist ganz natürlich, man spricht ja auch häufiger von Orangen als von Zitrusfrüchten.

25 April, 2006 15:43  

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