21 Februar 2006

Versuch, den Staat zur Räson zu rufen

Manche Sätze brauchen eine gewisse Einwirkungszeit, um ihre Wirkung entfalten zu können. Dies gilt gewiß für die folgenden zwei, welche die ehemalige Bürgerrechtlerin und jetzige Brandenburgische Kultusministerin Johanna Wanka gegenüber Journalisten der Zeitschrift Spiegel geäußert hat:
Die Kultusminister wissen längst, dass die Rechtschreibreform falsch war. Aus Gründen der Staatsräson ist sie nicht zurückgenommen worden.
Wir kennen das aus aus Action-Filmen und manchmal auch Geschichtsbüchern: Regierungen neigen dazu, Bluttaten aus »Staatsräson« zu begehen oder begehen zu lassen. Oder sie sehen über solche hinweg, um den Firmen ihres Landes Geschäfte zu ermöglichen.

Daß aber dieses Argumentationsmuster auch fürs Festhalten an der Verhunzung der deutschen Schriftsprache herhalten muß, läßt einen zuerst sprachlos. Was kann an Häßlichkeit und Dysfunktionalität staatserhaltend sein? Was nützt die Dummheit des Verzichts auf den Unterschied zwischen »alles beim Alten lassen« und »alles beim alten lassen« dem Wohlergehen unseres Gemeinwesens?

Dann fällt der Groschen. Diese Damen und Herren Minister halten sich allem Anschein nach in solchem Maße für den Staat selbst, daß sie denken, die Rücknahme der Reform, ihre ersatzlose Annihilierung, könnte die staatliche Autorität aufweichen – eine Überlegung, die voraussetzt, daß der Staat immer recht haben solle. Diese Voraussetzung teile ich nicht, und die teilt auch sonst kein Demokrat. Deshalb, sehr geehrte Frau Wanka, heben Sie bitte alle die Rechtschreibung betreffenden Erlasse und Verordnungen auf und entlassen Sie den Staat möglichst bald aus seiner angemaßten Zuständigkeit für Schrift und Sprache.