27 März 2006

Der Bücherclub

Aus einem Vortrag beim Bibliothekartag in Dresden:

Noch sind die meisten wissenschaftlichen Bibliotheken Deutschlands, allen voran die Bayerische Staatsbibliothek, frei zugänglich. Noch sind viele Lesesäle, auch und gerade die der Staatsbibliothek zu Berlin, chronisch überfüllt und stärker frequentiert als die meisten vergleichbaren Institutionen des Auslands. Aber kann das so bleiben? Welcher Naturwissenschaftler geht heute noch in die Bibliothek, schon gar in eine Universalbibliothek, die aus Kostengründen die Erwerbungen in seinem Fach drastisch kürzt? Mediziner betreten die Bibliotheken gewöhnlich nur zum Zwecke der kollektiven Prüfungsvorbereitung. Gleiches gilt für Juristen. Beide Studentengruppen bringen ihre Lektüre, bisweilen auch ihre Verpflegung, in die Lesesäle mit.

Daneben gibt es natürlich auch weiterhin den wissenschaftlichen Benutzer, etwa die Doktorandin in einer der Geisteswissenschaften, aber in den großen Universalbibliotheken zählt sie – ebenso wie ihr Doktorvater – zu einer Minderheit. Gebühren in der Größenordnung, wie sie in Frankfurt, Leipzig und Berlin gefordert werden, dürften diese Nutzer nicht vertreiben, aber die Digitalisierung der für ihre Arbeit einschlägigen Texte macht auch für sie den Gang in die Bibliothek zunehmend obsolet. Nur wenn es ihnen angenehm erscheint, hier eine Arbeit zu verrichten, die sie auch andernorts erledigen könnten, werden sie weiter kommen.

Einsamkeit und Freiheit sind nicht jedermanns Sache. Man will es jedenfalls nicht damit übertreiben, und so sucht man die ungeschäftige Geselligkeit in der Bibliothek. Die pseudoökonomische Rede vom Benutzer als Kunden ist auch deshalb verfehlt. Der Benutzer, der aus eigenem Antrieb kommt und nicht aus schierer Notwendigkeit, wird durch die Entrichtung einer Gebühr nicht zum Teil der Kundschaft eines Informationskaufhauses, sondern Mitglied eines mäßig elitären Clubs, in dem er mit seinesgleichen verkehren kann. Die Bücher macht das noch lange nicht überflüssig. Sie erfüllen einen wichtigen Zweck – als schalldämpfende Kulisse.