30 November 2005

Deutsch werden

Geteilte Kindheiten schaffen ein Gefühl tiefgehender Gemeinsamkeit. Wer auf ein »Weißt du noch?« mit einem wohligen »Ja ...« antworten kann, gehört dazu.

Diese Erfahrung hat die neuseeländische Künstlerin Joanne Moar zum Ausgangspunkt ihres Projektes Becoming German gemacht. Sie sammelt die Kindheitserinnerungen von Deutschen, um sie anderen zugänglich zu machen. Auf ihrer Seite Becoming German kann man die eigenen Erinnerungen, wie sie sagt, »spenden« oder Details aus den Erinnerungen anderer »empfangen«.

Die möglichen politischen Dimensionen dieses beim Trivialsten ansetzenden Projektes werden in einem Gespräch zumindest erahnbar, das Klaus Pilger am 29. November in der Sendung »Corso« des Deutschlandfunks mit der Künstlerin geführt hat.
Joanne Moar: Ich glaube nicht, daß man die eigene Kindheit ersetzen kann. Das ist nicht mein Ziel. Aber man kann besser verstehen, wie es war, hier aufzuwachsen. [...]

Klaus Pilger: Wie politisch ist diese Aktion?

Joanne Moar: Es ist eine Fragestellung: Was ist deutsch? Gibt es etwas typisch Deutsches? Gibt es eine typische deutsche Kindheit? [...] Vom Konzept her stammt das Projekt aus dem Jahr 2001, wo die Leitkulturfrage sehr groß war und wo ich selber Schwierigkeiten hatte mit meinem Visum. [...] Es ist vielleicht meine eigene Suche nach einer Leitkultur [...]
Nur dürfte diese Selbstinterpretation so alt sein wie das Projekt. Vielleicht liegt mehr Wucht darin, daß sie für die Trivia der Kindheitserinnerungen eine neue Form gefunden hat, die nicht die rührseliger Heimatfilme ist. So werden diese simplen Inhalte auch für Menschen zugänglich, die nicht die ganze Packung kaufen wollen.