19 Mai 2008

Exoskelett als Vaterersatz

Ingeborg Harms berichtet in der Frankfurter Allgemeinen von heute ausführlich über eine Tagung in Wien zum Thema »Vaterlosigkeit«. Dort wurde die psychoanatomische These aufgestellt, die Männer der 68er-Generation würden nicht durch ein wirbeltiertypisches Innenskelett aufrechtgehalten, sondern durch ein erworbenes Außenskelett:
Wer aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrte, war nicht mehr Teil einer männlichen Gemeinschaft, er wurde wahrgenommen als Teil einer versprengten Vatergeneration, die stärker denn je ungeliebt war. Dennoch kam die Wiener Tagung zu dem überraschenden Schluss, dass die Söhne, schon als sie 1968 den Aufstand probten, unter einer unstillbaren Vatersehnsucht litten, die heute zu einer schweren Krise geworden ist. Schwache, gebrochene oder gar nicht vorhandene Väter hatten in der Erziehung den Müttern das Feld überlassen, die einem Zuviel an Empathie ein Zuwenig an Sinnangeboten entgegensetzten, wie es Heinz Bude ausdrückte. 1968 war für den Kasseler Soziologen eine Revolte für, nicht gegen die Väter. [...]

Ein weiches Innenleben führe zur Demonstration äußerer Stärke, ergänzte der Historiker Jürgen Reulecke [...]. Das Berufsleben der Nachkriegsgeneration nannte Reulecke ihr "Exoskelett". Mit der Pensionierung breche dann alles zusammen: Was von den Achtundsechzigern bleibt, ist eine "wehleidige und hochgradig suizidgefährdete" Rentnergeneration.

15 Mai 2008

Kein Licht

Elfriede Jelinek eröffnet ihren »Im Verlassenen« überschriebenen Text zu den Ereignissen im Kellerverlies von Amstetten mit einer Hebbel-Sentenz, deren zweiter Satz — von ihr nicht zitiert — allen Nicht-Österreichern sehr schlechte Aussichten verheißt:
Dies Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält. Und waltet erst bei uns das Gleichgewicht, dann wird's auch in der andern wieder Licht.

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14 Mai 2008

Selbstapplaus

Kant notierte auf irgendwo die folgende Beobachtung:
Wir denken selten bey dem Licht an Finsternis, beym Glück ans Elend, bey der Zufriedenheit an Schmertz; aber umgekehrt jederzeit. Versöhnte Feinde denken doch vielleicht öfter an ihre vormalige Feindschaft als entzweyete Freunde, darum weil das Gemüth sich bey jenen applaudirt.

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13 Mai 2008

Dazwischen

Das, was diese junge Leute hier wollen, wird weder den Fundamentalisten aller Religionen passen noch den Evolutionspsychologen, die sich so abmühen, mit netten evolutionären Geschichtchen zur biologischen Verankerung der Geschlechterverhältnisse diesen den Glanz des Unabänderlichen zu geben:
[...] today many students who identify as trans are seeking not simply to change their sex but to create an identity outside or between established genders — they may refuse to use any gender pronouns whatsoever or take a gender-neutral name but never modify their bodies chemically or surgically. These students are also considered part of the trans community, though they are known as either gender nonconforming or genderqueer rather than transmen or transmale.
Beobachtet hat das Alissa Quart, und ihr Bericht ist am 16. März im Sonntagsmagazin der New York Times erschienen.