23 Januar 2006

Über die Not der Ziegen in dunkler Zeit

Fred K. Prieberg hat sein Archiv zur Musikgeschichte der Zeit des Nationalsozialismus dem Musikwissenschaftlichen Instituts der Christian-Albrecht-Universität »gespendet«, wie es in deren Presseinformation 106/2005 vom 21.10.2005 heißt. Im Bericht des Musikjournals im Deutschlandfunks darüber wurden heute auch Tondokumente abgespielt, die in dieser Sammlung enthalten sind. Den Text eines Liedes habe ich mitgeschrieben, weil er gut den immer wieder unterschätzten Antiintellektualismus der Nazis dokumentiert:
Ich bin froh, ich bin kein Intellektueller,
Kein Ziegengescheiter, Aufgeklärter, kein ganz Heller.
Das hat mir oft genützt im Leben,
Denn manchesmal tut's Sachen geben,
Wo es ganz gut, wenn man nicht ist gerad' zu gelehrt.
Ein bisserl dumm sein hat sich wohl bewährt.
Leider scheint man diese Sendung nicht über Audio on demand nachhören zu können. Zum Antiintellektualismus der Nazis findet sich in dem Buch Rechtschreibreform und Nationalsozialismus auf den Seiten 74 f. zumindest ein wenig.

22 Januar 2006

Deep Analogies

Jetzt sollen Tiere nicht nur Erkenntnisfähigkeiten haben, die oft von gleicher Art wie die des Menschen sind, sondern auch Persönlichkeit! Was wird dann aus unserer sauberen Einteilung in die Wesen, denen gegenüber man sich moralisch verhalten muß und die erlöst werden, und jene anderen, die man aufessen darf und die keine Seele haben?

Es wird sich zeigen. Unterhalb der großen Fragen arbeitet sich die Forschung voran, und hier ist es die Persönlichkeitspsychologie der Tintenfische, Wasserläufer und Rhesusaffen, die sich innerhalb von weniger als zwanzig Jahren in einem solchen Maße entwickelt hat, daß sie bereits auf die Erforschung der Psychologie des Menschen zurückwirkt. Charles Siebert berichtet darüber ausführlich im Magazin der New York Times von heute:
Animal personality, along with such integral fields as animal behavior, behavioral ecology and evolutionary biology, all pivot now around what might be called deep analogies. The more detailed and specific our knowledge has become of the animals and of the many differences between them and us, the more clearly we can see what is analogous about our respective behaviors. Animal personality, in other words, is now redirecting psychology's focus in a direction the behaviorists would most appreciate: away from airy abstractions about personality and down to its very tangible and widely dispersed roots.
Aus dieser neu gewonnen Perspektive werden nun Forschungsbeiträge, die in ihrer Zeit exotischen Charakter hatten, zu wegweisenden Ansätzen. Siebert zitiert aus dem 1964 in Science erschienenen Aufsatz »Microscopic Brains« von Vincent Dethier, der sich mit Wirbellosen (»invertebrates«) befaßt:
The farther removed an animal is from ourselves, the less sympathetic we are in ascribing to it those components of behavior that we know in ourselves. There is some fuzzy point of transition in the phylogenetic scale where our empathizing acquires an unsavory aura. Yet there is little justification for this schism. If we subscribe to an idea of a lineal evolution of behavior, there is no reason for failing to search for adumbrations of higher behavior in invertebrates.

18 Januar 2006

Groko

Dieses Wort ist nicht gefunden, sondern gemacht.

Deutschland funktioniert großkoalitionär – über zu viele Fragen ist sich eine zu große Mehrheit einig, zumindest in dem kaum durchschaubaren Geflecht der mehr oder minder offiziellen Institutionen. Opposition bleibt marginal, selbst da, wo sie sehr viele Menschen hinter sich versammeln kann. Wenn wir nun sogar offiziell von einer großen Koalition regiert werden, dann ist das zwar gewiß verdient – es gewinnt ja nur Gestalt, was vorher schon wirksam war –, aber doch belastend. Daher schlage ich vor, wenigstens die Zeichenfolge, mit der man auf die aktuelle Regierungskoalition Bezug nimmt, so kurz wie möglich zu halten. Nennen wir sie »Gro-Ko« oder schlicht »Groko«.

02 Januar 2006

Der Verschwörer von der traurigen Gestalt


»Paris ist in der sozialen Ordnung ein Gegenbild von dem, was in der geographischen der Vesuv ist. Ein drohendes gefährliches Massiv, ein immer tätiger Juni der Revolution«, notierte Walter Benjamin. Seit 1789 billigte man den Pariser Volksmassen weithin einen revolutionären Führungsanspruch zu, der zuvor den hitzigen Neapolitanern zugekommen war. Erfolglos protestierte Engels gegen den Glauben, »die Franzosen für das auserwählte Volk der Revolution, Paris für das revolutionäre Jerusalem« zu halten. Benjamins Vorhaben, Paris als »Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts« zu beschreiben, galt der Kapitale der Revolution.

Seine Freundin Hannah Arendt vermerkte später, wie nach 1789 jede gewalttätige Volksbewegung sogleich als Fortsetzung der damals ausgelösten Entwicklung gedeutet wurde, »als wären die Zeiten der Ruhe und Restauration, die durch das neunzehnte Jahrhundert hindurch bei weitem den größeren Zeitraum einnehmen, nur Pausen, in denen der Strom der Revolution, von der Oberfläche verschwunden, unterirdisch verläuft, um zu neuem Ausbruch auszuholen – zu den Ausbrüchen im Jahre 1830 und 1832, 1848 und 1851 und schließlich 1871 . . .«

Die Kunst des Verschwörers erweist sich in der Lenkung des Aufstands. Er weiß um die Stärke seiner Truppen und versteht sie durch seine Reden zu beflügeln, vor allem aber hat er den Instinkt für den richtigen Moment, in dem es loszuschlagen gilt. Daß er dieses Gespür vermissen ließ, macht Auguste Blanqui zum Verschwörer von der traurigen Gestalt.

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