29 April 2005

Sippenkunde

Unter diesem schönen Titel veröffentlicht Konkret meinen Leserbrief, den Berliner Zeitung und Junge Welt nicht als Artikel drucken mochten:
KONKRET 4/05: »Ehrenmänner und Idioten« von Alfred Schobert
Kaum hatte Hochhuth beteuert, weder die »Junge Freiheit« zu kennen noch die sämtlichen neueren Werke seines Freundes Irving, war das deutsche Feuilleton, von »FAZ« bis »Taz«, zur Vergebung seiner Sünden bereit. An der Qualität seiner Gedichte kann es nicht liegen. An dem Wert seiner jüngsten Enthüllung auch nicht: »Es ist doch so: Irving ist Halbjude, seine Mutter war Jüdin!« Alfred Schobert weist mit Recht darauf hin, daß Irving dem widersprochen habe. Tatsächlich hat er sich nicht zum ersten Mal gegen diese am Wortlaut der Nürnberger Gesetze geschulte Denunziation verwehren müssen.
Germar Rudolf, der gegenwärtig wohl umtriebigste Auschwitzlügner, hatte nämlich vor einem Jahr in einer seiner Postillen über eine Begegnung mit Dietmar Munier berichtet, einem holsteinischen Verleger von Nazi-Devotionalien aller Art. Dabei war, so Rudolf, das Gespräch auch auf Hochhuth gekommen. Dessen Beitrag zu der Irving-Festschrift »Wagnis Wahrheit« habe Munier nicht drucken wollen, weil er nicht frei von Unfreundlichkeiten gewesen sei. Der Text war aber wegen einer Einzelheit in Muniers Gedächtnis geblieben. Es sei darin nämlich von Irvings jüdischer Abkunft die Rede gewesen, die dieser auf Nachfrage auch bestätigt habe. Das nun allerdings bestritt Irving gegenüber Rudolf, woraufhin dieser bedauerte, Muniers Geschichte unbesehen weiterverbreitet zu haben. Damit ist zwar noch nicht geklärt, wie Hochhuth auf die Idee verfallen ist, in der Öffentlichkeit sippenkundliche Angaben über seinen Freund zu machen. Klar ist aber, daß er seit Jahren mit dieser vermeintlich sensationellen Nachricht in jenen Kreisen hausieren geht, die für so etwas empfänglich sind.
Damals, 1998, ist er gerade noch einmal davongekommen – die Festschrift erschien ohne seine Beteiligung. Das Autorenverzeichnis des Bandes, in dem sein Name fehlte, las sich »streckenweise wie das Who's who des deutsch-österreichischen Rechtsextremismus«, wie der Rezensent des Wiener »Standard« feststellte. Günter Maschke, Armin Mohler, Günther Zehm mit Hochhuth in einem Band – nein, es sollte nicht sein. Und so geschah es, daß die Welt erst jetzt vom »Halbjuden« Irving erfuhr.
In der Zwischenzeit hat Irving diesen Unsinn seines Dutzfreunds Rolf auch gegenüber der Deutschen National-Zeitung dementiert.

26 April 2005

Derwisch Göring

Eine erweiterte Fassung der folgenden Bemerkungen wurde gedruckt in Ossietzky 16/2005. Eine weitere Version erschien als Leserbrief in der NZZ.

Der Bundestag zögert noch, den Völkermord Völkermord zu nennen. Weniger vorsichtig ist man im Umgang mit der Behauptung, »daß das Schweigen über den Völkermord an den Armeniern Hitler als Argument zur Rechtfertigung seines Vernichtungskrieges im Osten gedient habe« (Meckel, SPD).

Die Quelle, aus der da geschöpft wird, ist sehr trüb. In dem gleichen Text, der dem amerikanischen Journalisten L. P. Lochner zugespielt wurde, wird zuletzt behauptet, daß Göring vor den versammelten Wehrmachtsgenerälen auf dem Tisch getanzt habe.

In anderen Protokollen derselben Ansprache Hitlers ist weder davon noch von den Armeniern die Rede. Die Nürnberger Anklage verzichtete vernünftigerweise auf die Verwendung des Dokuments, dessen Urheber sie nicht feststellen konnte.

Die andere Quelle, auf die in diesem Kontext ersatzweise verwiesen wird, sind die sogenannten Hitler-Breiting-Gespräche. Vgl. dazu Der Spiegel 37/1972, S. 62 ff.: »Frei erfunden«.

In den Medien war diese sehr dubiose Geschichte in den letzten Tagen geradezu allgegenwärtig. Vielleicht sollte man, bevor sie am Ende in einer Bundestagsresolution auftaucht, etwas Quellenkritik üben?