21 Juli 2007

Eine Frage des guten Benehmens

Dirk Schümer berichtet in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 14. Juli unter der Überschrift »Mamma mia, es ist ein Wunder!« von einem zivilisatorischen Fortschritt in Italien, für den das gesetzliche Rauchverbot anscheinend nur den Anstoß gab: Man raucht nicht mehr in geschlossenen Räumen.
Schon im späten Mittelalter gab es italienische Reisende, die sich über das barbarische Deutschland wunderten, wo man noch in die Ecken spuckte, ins eigene Hemd schnäuzte oder sich am Tischtuch die fettigen Hände abwischte. In Italien gab es bei Tisch bereits Gabeln, als die Deutschen ihren Hirsebrei noch rülpsend und furzend aus einem gemeinsamen Topf löffelten.

Dieser kulturelle Bruch, den die verspätete Niesel- und Nebelnation Germania den Italienern meist hinterher war, ist jetzt wieder einmal sichtbar geworden. Im ordentlichen Deutschland streitet man über die Zulässigkeit eines flächendeckenden Rauchverbots, das Gastgewerbe zeichnet das Menetekel von Ruin und Massenarbeitslosigkeit an alle verräucherten Wände, die Bundesregierung erklärt sich für unzuständig, und der Kompromiss, der schließlich erzielt wurde, ist löchriger als ein Raucherbein. Aus Leserbriefen und Mediendebatten ergibt sich das vertraute Bild anderer deutscher Schicksalsfragen wie Krankenkasse, Tempolimit, Bundesliga: Die Welt geht unter. Sollte das Rauchverbot kommen, ist es mit der Freiheit - die den vom Staat verwöhnten Deutschen sonst nicht gar so dringend am Herzen liegt - endgültig vorbei.

Ist das tatsächlich so? In Italien haben Millionen von Rauchern den Zivilisationsprozess bejaht und fügen sich dem durch und durch vernünftigen Gebot, andere Leute nicht mehr mit den eigenen Ausdünstungen zu belästigen oder gar krank zu machen. Denn das Gesetz hat ja nicht die Frage geklärt, ob die Raucher überhaupt noch rauchen dürfen, sondern nur, wo sie das tun und in welcher wehrlosen Gesellschaft.

12 Juli 2007

Körpergedächtnis



Im Berner »Bund« ist Raimund Hoghe am 2. Juni in einem Artikel über sich als behinderten Tänzer auch auf den Butoh-Tänzer Kazuo Ohno eingegangen, über welchen Peter Sempel in dessen siebenundneunzigstem Lebensjahr einen Dokumentarfilm gedreht hat:

2003 habe ich ihn in seinem Studio in Japan noch einmal getroffen. Kazuo Ohno leidet seit einigen Jahren an Alzheimer, aber die Erinnerung an den Tanz war noch in seinem Körper. Als eine Platte von Maria Callas gespielt wurde, machte er mit seinen Händen die gleichen Bewegungen wie Jahre zuvor auf der Bühne. Ihm war sein Zustand bewusst, aber mit dem Körper konnte er sich erinnern an das, was einmal wichtig war in seinem Leben. Als er mit seinen Händen tanzte, war wieder diese besondere Kraft zu spüren – die eines Körpers, der alt ist, der Würde hat und eine Schönheit, die sich gängigen Normvorstellungen entzieht.