25 Januar 2008

Individuelle oder kollektive Unterschiede

Es gibt große Unterschiede zwischen den Menschen, das Verhalten und das Denken betreffend. Sind sie eher persönlich-individuell oder kulturell-kollektiv? Hier die Antwort Elmar Holensteins, eines Philosophen, der der Geschichte der Philosophie nicht nur in Europa nachgegangen ist:
Die Menschheit ist insgesamt homogener, als man das im frühen 20. Jahrhundert glaubte annehmen zu müssen, und die einzelnen Kulturen sind heterogener, als man das damals dogmatisch angenommen hatte. Es gibt große Unterschiede zwischen den philosophischen Ansichten der Menschen. Die größten findet man nicht zwischen den einzelnen Erdteilen, sondern zwischen den Individuen und den Schulbildungen innerhalb der einzelnen Erdteile.
Holensteins Antwort findet man in seinem Philosophie-Atlas auf Seite 21. Der Atlas erschien im Jahr 2004, wurde in den Feuilletons hoch gelobt und kann seitdem als verschollen gelten. Ich wollte neulich englischsprachige Philosophen auf diese Fundgrube für Fakten und Einsichten hinweisen, wurde aber bei der Suche nach einer englisch- oder französischsprachigen Ausgabe nicht fündig. Auf Nachfrage teilte mir der Ammann-Verlag freundlicherweise mit, daß sich diese beiden Sprachgemeinschaften bisher nicht für das Buch interessiert haben. Lizenzen für Übersetzungen wurden allerdings bereits in die Arabische Welt, nach Korea, Serbien, Kroatien und Bosnien verkauft.

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Mehr Masse

Die Verächter des Online-Lexikons Wikipedia sollten bedenken, daß wir ohne diese Initiative auch nicht die Angebote hätten, die seitdem ans Netz gegangen sind: Das Citizendium will mehr Qualität durch die Nennung der echten Autorennamen erreichen, und die Scholarpedia setzt gleich ganz auf die Einladung von Experten, über die aber diskutiert und abgestimmt wird.

Jetzt möchte das Citizendium auf eine bisher ungenutzte Resource zurückgreifen: die zur Erfüllung der Studentenpflichten geschriebenen Hausarbeiten. Für ihr neues Projekt haben seine Macher leider noch ein schreckliches Wort erfunden, Eduzendium:

Students can take responsibility for their work for course credits, and teachers grade the finished work based on the quality of the final article produced from each student's input.

But students not only get to earn grade credits, they add to the global store of knowledge as they earn their written course assignment credits. By collaborating with the rapidly growing Citizendium (CZ) community of expert and non-expert authors, they can have their essays become a lasting article in the Citizendium.

23 Januar 2008

Krisenvergleich

Wie soll man die aktuellen Kursverluste an den Börsen einschätzen? Ist es eine gewöhnliche Rezession, der nach ein paar Monaten oder spätestens Jahren wieder eine Phase des Aufstiegs und des Wachstums folgen wird? Oder sollte man, soweit man über solche verfügt, alle Aktien verkaufen, weil man den Wiederanstieg zum bisherigen Kursniveau nicht mehr erleben wird?

George Soros hat seine Einschätzung der Krise gestern in der Financial Times mit wünschenswerter Deutlichkeit formuliert:
[...] the current crisis marks the end of an era of credit expansion based on the dollar as the international reserve currency. The periodic crises were part of a larger boom-bust process. The current crisis is the culmination of a super-boom that has lasted for more than 60 years.

Tabu statt Prinzip

In irgendeinem ethnologischen Buch muß ich einmal von der magischen Furcht vor Verunreinigung gelesen habe: Berührt man tabuisierte Gegenstände oder unterhält Kontakt mit tabuisierten Personen, so verfällt man selbst dem Tabu.

Allerdings scheint diese Praxis heute entweder noch wirksam zu sein oder sogar mit Wucht zurückzukehren. Einem Bericht von Andreas Kunz in der aktuellen Ausgabe der Weltwoche, der dritten in diesem Jahr, zufolge, hat sich der Informatiker Martin Stricker bei Aufklärungsbemühungen dem Rassismus zu sehr genähert, als daß man noch Umgang mit ihm pflegen könnte. Ein Freispruch durch in früheren Zeiten einmal angesehene hohe Gerichte verschlägt da nichts:
Er entschied sich für die Universität Dresden und unterschrieb einen Vertrag als ordentlicher Professor. Plötzlich aber kamen aus Dresden Bedenken. Der sächsische Ministerpräsident verweigerte seine Unterschrift. Denn in Dresden, wo Neonazis regelmässig randalieren, könne man sich einen Professor mit einer Rassismusanklage nicht erlauben. Dass er freigesprochen worden sei, spiele dabei keine Rolle.

04 Januar 2008

Erinnerung an Prinzipien

Raju G.C. Thomas erinnert in der Diskussion um die Unabhängigkeit des Kosovo an Prinzipien. Auf Deutsch ist sein Text am 30. Dezember in der Welt erschienen, im Original am 3. Januar zumindest auch in der Cyprus Mail. Sein Punkt ist einfach und verständlich: Dem kleinen Serbien will man den Verzicht auf nationale Einheit zumuten, welchen man den Großen (Rußland, China, Indien) gegenüber nicht einmal zu äußern wagt:
Serbia’s claim to Kosovo is, to Serbs, far stronger than Russia’s claim to Chechnya, China’s to Xinjiang, India’s to Kashmir (a claim still disputed by Pakistan), and the Philippines’ to the island of Mindanao. All of these are provinces with Muslim majority populations that are part of non-Muslim majority states.

But Russia, China, and India are big states and will not tolerate any detachment of their territories. So there is no serious international effort to force them to do so. The Philippines has effectively lost control of Mindanao, just as Serbia has lost control of Kosovo, yet no one has recognised Mindanao’s unilateral declaration of independence. So why should Kosovo’s declaration be accepted?

02 Januar 2008

Demokratie oder Wahrheit?

So hatte ich den Titel des Reclam-Heftes von Richard Rorty im Kopf. Tatsächlich heißt es Solidarität oder Objektivität? Ich habe das Heft nicht zur Hand, nehme aber an, daß eine Übersetzung des Aufsatzes »The Priority of Democracy to Philosophy« darin enthalten ist, den Rorty mit folgenden, sehr zurückhaltend formulierten Worten enden läßt:
Even if nothing else survives from the age of the democratic revolutions, perhaps our descendants will remember that social institutions can be viewed as experiments in cooperation rather than as attempts to embody a universal and ahistorical order. It is hard to believe that this memory would not be worth having.
Nun hat Egon Flaig in der Frankfurter Allgemeinen vom 28. Dezember 2007 einen Artikel mit dem Titel »Republik oder Kalifat?« veröffentlicht, in dem er bis auf Solons gerade nicht göttliche Gesetze zurückgeht, um den Unterschied zwischen europäischer Politik und der in islamischen Ländern üblichen Art, die gemeinsamen Angelegenheiten zu ordnen, herauszuarbeiten. Bedauerlicherweise ist Flaigs ganzseitiger Artikel im Internet nicht frei zugänglich.

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